
Atemlos – wenn Kinder keine Luft bekommen
Von Kirsten Strasser
OPPENHEIM/MAINZ – Es gibt Dinge, die erschüttern auch altgediente, erfahrene Ärzte auf der Kinderintensivstation, wie Stephan Gehring und Ralf Huth. In diesem Jahr gab es eine Häufung von Fällen, in denen Kleinkinder erstickten oder zu ersticken drohten. „Allein 2018 hatten wir drei Kinder, die nicht mehr zu retten waren“, sagt Prof. Dr. Gehring, Ärztlicher Leiter der Kinderintensivstation. Eines der Kinder hatte sich an einer Nuss, ein anderes an einem Stück Wurst verschluckt. Das dritte Baby starb, weil es sich einen nicht aufgeblasenen Luftballon in den Mund gesteckt hatte, der in die Luftröhre geriet. „Das sind Fälle, die natürlich auch uns beschäftigen und betroffen machen“, sagt Oberarzt Ralf Huth.
Es sind auch deshalb so tragische Unglücksfälle, weil sie innerhalb von Minuten kerngesunde Kinder aus dem Leben reißen, zurück bleiben verzweifelte Eltern, die oft das Sterben ihres Kindes mitansehen mussten. Die Kinderintensivstation ist zwar – auch dank der Spenden aus den Leser-helfen-Aktionen – bestens ausgestattet und verfügt mit dem „C-Max“ über ein Gerät, das sensibelste Eingriffe im Mund- und Rachenbereich erlaubt und mit dem Fremdkörper entfernt werden können. Doch manchmal kommen die Ärzte schlicht zu spät. Der Kampf gegen den Erstickungstod ist ein Wettlauf gegen die Zeit.
Yanus (Name von der Red. geändert) ist ein Kind, das diesen Kampf gewonnen hat. Der 13 Monate alte Junge ist fast an einem Stück Walnuss erstickt. „Der Kern muss auf den Boden gefallen sein, unser Sohn hat ihn dann beim Herumkrabbeln gefunden“, erzählt Yanus’ Mutter. Diese sah glücklicherweise, dass der Kleine sich etwas in den Mund steckte, und reagierte schnell. „Ich habe ihm die Nussstücke aus dem Mund gefischt“, erzählt sie. Doch offenbar gelang es ihr nicht, alle zerbissenen Stückchen zu erwischen – denn plötzlich veränderte sich die Situation dramatisch. „Yanus bekam sichtlich keine Luft mehr, keuchte, lief blau an.“ Die Eltern riefen sofort den Rettungsdienst, die Mutter, von Beruf Erzieherin, leitete Erste-Hilfe-Maßnahmen ein. Als die Rettungskräfte eintrafen, bekam der Junge schon wieder Luft, die Eltern suchten mit ihm den Kinderarzt auf, der sie dann wieder nach Hause schickte.
Doch erneut verschlechterte sich Yanus’ Zustand, er bekam Fieber. Vielleicht eine Folge des Infekts, den der Kleine schon seit ein paar Tagen mit sich herumschleppte. Vielleicht aber auch nicht. Die Eltern fackelten nicht lange und brachten ihn in die Kinderintensivstation. Zum Glück – hier stellte sich heraus, dass sich in Yanus’ Bronchien eine schwere Entzündung eingenistet hatte. Gut möglich, sagt Gehring, dass dies die Folge eines winzigen Nussbröckchens war, das in die Bronchien geraten war. In einem Eingriff entfernten die Ärzte das eitrige Sekret samt aller eventuellen Fremdkörper, anschließend wurde das Kleinkind auf der Kinderintensivstation aufgepäppelt.
Solche Beinahe-Katastrophen, wie sie Yanus’ Familie durchlitt, lassen sich kaum immer verhindern. Dennoch können Eltern einige Dinge beachten, um drohende Erstickungsgefahren abzuwenden. „Darüber wollen wir aufklären“, sagt Oberarzt Huth. Denn oft entstehen Gefahrensituationen bei der Nahrungsaufnahme.
„Der alte Spruch ,Gegessen wird am Tisch!‘ hat durchaus seine Berechtigung“, sagt Huth. Denn gefährlich kann es werden, wenn Kinder beim Essen herumtoben. So bekam eines der Erstickungsopfer ein Stück Wurst in die Luftröhre, als es zugleich essend und hüpfend auf dem Sofa herumtobte. „Eine gute Esskultur hat somit auch einen Sicherheitscharakter“, betont Huth. Vorsicht sei zudem generell bei Nüssen geboten. Aber auch nicht essbare Dinge können gefährlich werden, so drohten kleine Patienten schon an Haarclips zu ersticken.
Was aber ist zu tun, wenn ein Kleinkind einen Fremdkörper in die Luftröhre bekommen hat? „Vor allem: Ruhe bewahren“, sagt Prof. Gehring. Am schädlichsten sei, panisch zu werden und am Kind herumzudoktern. „Die Hektik überträgt sich auf das Kind, das dann noch schlechter Luft bekommt“, erklärt er. Oftmals sei noch ein winziger Durchgang vorhanden, durch den wenigstens etwas Luft durchdringen könne. „Versucht das Kind hektisch zu atmen, verschließt sich auch dieser.“ Also: „Ruhig bleiben, Kind auf den Arm nehmen und sehen, dass es so schnell wie möglich ärztliche Hilfe bekommt.“ Auch wenn der Fremdkörper entfernt sei, empfehle es sich, das Kind in der Klinik vorzustellen. „Denn es ist gut möglich, dass winzige Stücke weiter in die Bronchien wandern und dort schwere Entzündungen hervorrufen.“